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Karnevàl). Roman des Kulturhistorikers und Philosophen Bela HAMVAS, entstanden 1948 bis 1950, aus dem Nachlaß veröffentlicht
1985.
Schauplatz dieses philosophischen Monumentalromans, einer »metaphysischen Pikareske« (E. Haldimann) in sieben Büchern, vom Autor selbst als Schicksals- oder auch als Fehlbarkeitskatalog, als
Dämonologie oder, HERAKLIT zitierend, als ,,Geschichte des zehntausendhäutigen Geistes" charakterisiert, ist der Karneval, eine universale Metapher fur die unendlichen Metamorphosen des Menschen in
seiner metaphysischen und historischen Existenz. »Hamvas'
Thema ist, losgelöst von nationalen und aktuellen Belangen, die Krise
der universellen Zivilisation, der moralische Verfall des modernen
Menschen« ~. Haldimann).
Hauptgestalt des Buches
ist Michael Bormester, der Sohn des Hilfsreferenten Virgil Bormester
(dt. »Weinmeister«), der sich auf den Weg macht, seinen wahren Namen,
seine Identität zu suchen. Der
Erzengel Michael spricht ihn an, aber
Virgil ist in unglückliche Abenteuer verstrickt und zur Identifikation
nicht imstande, deshalb gibt er sowohl das Suchen, als auch den Namen
Michael seinem Sohn weiter. Der
Name Michael ist Mittelpunkt der
gesamten Erzählung - und ihn kontrapunktieren die Maskennamen der 300
auftretenden Personen, in denen Michael sich selbst erkennen muß. Der
Karneval ist Karneval, damit niemand
seinen Platz behält, und so wird der
Neugeborene in der Wiege vertauscht. Dem schizophrenen Jahrhundert
entsprechend, leben die beiden vertauschten Kinder das Leben des
jeweils anderen, was heißt, daß der
einzige Michael zu zwei Personen wird.
Der anfangs auf die
Kleinstadt beschränkte Familienroman weitet sich in einem von mehreren
konzentrischen Kreisen auf das Land und schließlich auf die fünf
Kontinente aus. Und ebenso die
Zeit, denn »was hier geschieht, gilt für alle Zeiten«.
Das Romangeflecht
umgreift die Ereignisse der vermeintlich realen Welt von der
Jahrhundertwende bis 1950 und wird damit der sichtbaren, realen
Geschichte gerecht, aber über ihr steht der esoterische
Sinn, der Hüter der »wundersamen Veränderungen der Seele«. Beide sind verbunden durch das Funktionsgespräch zwischen dem Erzähler und dem »agent spirituel«; die Authentizität gewährleistet die unanfechtbare »Stimme«.
Bei der Mobilisierung
soll Mike, der extravertierte Clown und Gentleman, an die Westfront
geschickt werden- aber schalkhafter als Eulenspiegel und Panurge (der
Schelm aus Rabelais' Gargantua-Roman) und
obendrein mit der Luzidität eines
Strategen gesegnet - setzt er sich über den törichten und grausamen
Machtapparat des Diesseits hinweg. Seine Ironie drängt mit den
sprachlichen Purzelbäumen eines James Joyce
auch noch zwei Nachbarländer in einen
Krieg, ohne daß er auf der »Gegenseite« Michail wahrnimmt, den
»Heiligen«, sein introvertiertes Ich, das vom östlichen Kriegsschauplatz
kommend in russische
Gefangenschaft geriet, die Taiga
durchlitt, in Tibet die östliche Weisheit erlebte, China durchreiste und
auf der Insel Sansibar an Land ging, wo Mike und Michail aus der
westlichen und östlichen Hemisphäre
zusammentreffen, also Michael Bormester
seinem Selbst begegnet. Es zeigt sich, daß der Heilige und der Clown
nicht nur zusammengehören, sondern auch austauschbar sind.
Die »Vereinigung« im
Tempel der Kali auf Sansibar wäre nicht zustande gekommen ohne Antennis,
eine dritte Person. Der Anima-Spiegel des Michael Bormester ist der
»älteste«, von der Zeitmaske
unverhüllte; der strahlende Engel des
Blendwerks lacht den aus, der die Masken für Wirklichkeit hielt. Mike
und Michail, der leidenschaftliche Lachende und der spirituelle
Leidende, erkennen in den Masken das
Blendwerk der Welt. Kali, die Erdgöttin,
ist das Blendwerk selbst, und in Antennis, dem strahlenden Engel,
erkennt sie sämtliche Frauen, mit denen sie bisher rang.
Die letzte Station der
Wanderjahre Bormesters und der Reifung der Seele steht noch aus. Der
Abstieg ins Jenseits gestaltet sich zum Höhepunkt des Romans und ist
eine einzige Katabolie der Literatur des
20.Jh.s. Sein erster Führer ist Henoch,
der »Jünger des Herm«, der den Erlöser als erster sah. Er begleitet ihn
bis zum mystischen Todesfluß, in dem statt Wasser Massen von sich
plagenden Seelen in die Ferne
streben. Die Landschaft wird hell, auf
dem Gipfel des Perlenbergs ist ein reglos strahlendes Gesicht zu sehen:
Johannes der Täufer. Auf der höchsten Bergspitze erscheint erneut
Antennis, eine Bettlerin, die die
Schwelle hütet. Ihre Schönheit
symbolisiert die Reinheit von Michaels Leben, ihre Lumpen und ihr Alter
sind Zeichen für den Schmutz dieses Lebens. Hinter dem Edelsteintor
quälen sich die für die Wahrheit
Leidenden, die Friedliebenden, die
Reinherzigen, die Aussätzigen, in gleißendem Licht die Bettler im Geist.
Hier verharren sie bis zum Tag des Herrn, denn vor dem Jüngsten Gericht
gibt es kein Heil und keine
Verdammnis, bis dahin sind sie nur
Wartende und ist der Himmel nur eine Vision.
Weihnachten 1944. Michael
hat seine Wanderjahre hinter sich, die Belagerung von Budapest
verbringt er in einem Luftschutzkeller. Wieder ein Panoptikum, wieder
ein Labyrinth, ein Karneval der Monomanien.
Diesmal allerdings betrachtet der
heimgekehrte Wanderer die
comédie humaine nicht so unerbittlich
satirisch wie in den vorangegangenen Kapiteln, sondern mit sanftem
Humor. Der Humor ist die letzte Maske, sie
kann bis zum letzten Augenblick nicht
abgenommen werden. Doch die in bitterem Saft rotierende, unerlöste Welt
bleibt zurück, und das motiviert das letzte Kapitel, das als ein Epilog
zu sehen ist. Mit dem
Bibliothekar Vidal tritt dem Anschein
nach eine neue Person auf Der Erzähler spricht nicht aus, daß er eine
neue Inkarnation des Michael Bormester wäre, laßt jedoch auch keinen
Zweifel aufkommen, daß er zu den
Geläuterten gehört, die auf das Heil im
Jenseits verzichten, umkehren und sich in den großen Lebensfluß werfen,
um wenigstens eine Seele zu retten. Denn
»einmal im Leben erscheint der Engel jedem«.
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